Jeder hat daheim eine Mini-Apotheke für die kleinen Übel des Alltags: Mittel gegen Kopfschmerzen, Heftpflaster und anderen Kleinkram. Bücher können eine ähnliche Funktion erfüllen. Sie zaubern Sonnenschein in lausige Regentage, sie sorgen für ein Schmunzeln in Zeiten der Melancholie und ein glückliches Lachen, selbst wenn die Welt in Tränen versinkt.
Anbei meine persönliche Auswahl für die literarische Apotheke mit der Beschreibung der Anwendungsgebiete und natürlich auch der potentiellen Nebenwirkungen. Ich wünsche besinnliche Stunden beim Schmökern und den Eintritt der positiven Wirkungen.
Sieben verdammt lange Tage – Jonathan Tropper
Die bisherigen Familientreffen der Großfamilie Foxman endeten stets mit Streit, Türenschlagen und quietschenden Reifen. Nun, nach dem Tod des betagten Vaters, treffen sie im Elternhaus wieder aufeinander. Leider besteht die Mutter gemäß jüdischer Tradition auf 7 Tage gemeinsamer Trauer mit allen Nachbarn und den weitläufigen Bekannten. Die Enge des Zusammenlebens, verbunden mit dem langen Zeitraum, führt zum Aufbrechen alter Familienkonflikte, aber auch lustigen Momenten. Der Autor pflegt einen humorvollen Schreibstil und zieht Verwandtschaftskonflikte geschickt durch den Kakao. Gerade der Humor macht dieses Buch so wertvoll.
Erzählt wird die Story aus der Sicht von Judd. Seine Frau hat eine Affäre mit seinem Chef und ist dazu noch schwanger. Einer der Brüder erscheint mit einer wesentlich älteren Freundin zum Familientreffen während die Ehefrau des anderen über die bisher ausbleibende Schwangerschaft jammert und den Ehemann deshalb zu jeder angeblich medizinisch passenden Zeit zur „Pflicht“ ruft; auch wenn sie dadurch das Mittagessen verpassen und leider vergessen, dass das Babyphone der Schwägerin für eine Liveübertragung sorgt. Der andere Bruder hat nur seine Firma im Kopf und ist genervt von seinen quengelnden Kindern. Natürlich sind alle Geschwister von der Familie des jeweils anderen Geschwisterteils genervt.
Judd trifft eine Jugendfreundin wieder und findet sie immer noch attraktiv. Leider erscheint seine untreue Ehefrau und bittet um Vergebung. Schwierige Entscheidungen stehen bevor.
Anwendungsgebiete: Zur Nachbereitung nervender Verwandtschaftsbesuche, Familientreffen etc. Nicht nur Kaiser sind nackt, Verwandte sind es noch viel mehr. Eine gute literarische Apotheke.
Nebenwirkungen: unterschiedlich. Muskelkater aufgrund zu häufigen Lachens oder aufgrund heftigen Kopfschüttelns über die chaotischen Verhältnisse in der Großfamilie. Betroffen wären also entweder die Gesichts- oder Nackenmuskeln. Ich hoffe für Sie, dass es die Gesichtsmuskeln sind. Der Schreibstil ist überaus lustig und die Situationen aus dem Leben gegriffen. Ich bevorzuge das Buch gegenüber der Verfilmung, denn der Humor kommt im Buch besser rüber – trotz der wirklich exzellenten Schauspieler!
Mein Herz ist eine Insel – Anne Sanders
Isla Grant kehrt nach dem Scheitern ihrer Beziehung vom quirligen Leben in der Großstadt Edinburgh auf die kleine Insel ihrer Familie an der rauen schottischen Westküste zurück und ist dort sofort genervt von der Enge der Insel, und der Tatsache, dass jeder alles über den anderen weiß. Ihre alte Jugendliebe leitet dazu noch den einzigen Pub der Insel. Isla wollte den Kerl eigentlich vergessen, doch wo soll sie sonst ihre Freizeit verbringen, wenn nicht im einzigen sozialen Treffpunkt der Insel?
Dazu erscheint noch ein Fremder, der seltsame Fragen stellt und das Misstrauen der Insulaner auf sich zieht. Er interessiert sich für Isla, die den Flirt zunächst als probates Mittel sieht, um dem Jugendfreund eine Lektion zu erteilen. Bloß weil Isla auf einmal wieder in Reichweite ist, heißt das noch lange nichts! Doch der Einfluss des Fremden verblasst vor den Erinnerungen an die Jugend, die an vielen Plätzen der Insel hängen und auf die Isla zwangsläufig stößt. Isla erkennt, dass die anfangs nervende Enge, das Wissen darüber, was jeder tut, auch Vorteile besitzt. Vorteile, die sich im Umgang mit einem mysteriösen Fremden als sehr notwendig herausstellen!
Anwendungsgebiete: Akute Fälle gestresster Beziehungen zur Umwelt und der Sehnsucht nach der großen Stadt. Lehrt, die Heimeligkeit der Enge zu schätzen.
Nebenwirkungen: Reisefieber nach Schottland bzw. den Hebriden. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen mit Schottland halte ich das Einsetzen dieser Nebenwirkungen für einen Pluspunkt. Eine Reise in den Norden lohnt sich immer und so rau ist die Küste nicht. Im Gegenteil! Sie ist ein wunderbares Stück Natur.
Der Sommer der Blaubeeren – Mary Simses
Die junge Anwältin Ellen Branfort, die sich im Moloch der Großstadt New York bewegt wie ein Fisch im Wasser, will einen Brief ihrer toten Großmutter in einem kleinen Küstenort übergeben. Ellen steht kurz vor der Hochzeit mit dem Sprößling einer einflussreichen Familie. Sie selbst ist aufgrund ihrer juristischen Tätigkeit auch nicht gerade eine Unbekannte. Stets gekleidet in die aktuelle Designermode, fällt sie in dem Küstenort zwangsläufig auf. Ellen fotografiert gerne das Meer und übersieht den Warnhinweis auf das morsche Pier. Sie landet im Atlantik und wird von einem muskulösen Handwerker gerettet – den sie aus Dankbarkeit spontan küsst.
Leider landet das Beweisfoto in der örtlichen Presse.
Ellen will nicht, dass die Story bis nach New York dringt. Kein Problem für eine wohlhabende Anwältin: sie kauft die gesamte Tagesausgabe der Zeitung.
Zukünftige Fettnäpfchen vermieden?
Leider nein, denn die Kleinstadt bietet für die New Yorkerin einige an – in die Ellen natürlich hineintritt. Panisch versucht sie die Auswirkungen einzufangen – da kommt ausgerechnet der Verlobte zu Besuch.
Seltsamerweise findet Ellen auf einmal die Kritik ihres Verlobten an den Kleinstadtverhältnissen schlecht. Was ist mit ihr los? Wieso findet sie eine aufgegebene Blaubeerplantage so interessant? Nur, weil diese dem Handwerker gehört, der sie aus dem Meer gezogen hat? Wieso hat die verstorbene Großmutter etwas mit der Plantage zu tun? Warum sprach sie zu Lebzeiten niemals darüber?
Anwendungsgebiete: In Fällen des Neides auf Großstadtbewohner, die es angeblich besser haben. Lehrt die Liebe zur kleinstädtischen Gemütlichkeit und zu heimischen Produkten aus eigenem Anbau. Eine passende literarische Apotheke.
Nebenwirkung: Große Lust auf das Backen von Blaubeermuffins anhand des im Buch abgedruckten Rezeptes.
Das Lächeln der Frauen – Nicolas Barreau
Die Besitzerin eines Pariser Restaurants, Aurélie, leidet an Liebeskummer. Sie streift apathisch und ziellos durch die Metropole und landet in einer kleinen Buchhandlung. Dort findet sie ein Buch, welches sie und ihr Restaurant vortrefflich beschreibt. Aurélie ist auch vom Rest des Buches sehr angetan und will deshalb unbedingt mit dem englischen Autor reden. Diesen Mann, der sie so wundervoll beschreibt, muss sie um jeden Preis kennenlernen!
Sie nimmt Kontakt mit dem Verlagslektor auf und erleidet einen Rückschlag. Der englische Autor sei menschenscheu und lebe zurückgezogen auf dem Land. Nach Frankreich werde er wahrscheinlich nie kommen und Besuche von Fans lehne er selbstverständlich auch ab. Der Lektor versucht stattdessen bei Aurélie zu landen, wird aber abgewiesen. Nur der Autor kommt derzeit für einen Flirt in Frage.
Damit steht der Lektor vor einem doppelten Dilemma. Er hat nämlich inkognito das Buch geschrieben! Das Autorenfoto stammt vom Bruder eines britischen Freundes, der von seinem „Autorendasein“ überhaupt nichts weiß. Die Verlagsleitung wünscht unbedingt eine Interviewserie mit dem Autor in Paris. Damit fangen die Probleme an. Wie kann man einen nicht existenten Autor nach Paris schaffen, ihn der Presse vorstellen, aber gleichzeitig von Aurélie fernhalten? Der Lektor will nämlich die junge Dame für sich gewinnen. Dates mit dem Lektor akzeptiert sie leider nur, wenn es darum geht, ein Treffen mit dem Autor zu arrangieren.
Anwendungsgebiete: Ablenkung bei trüben Regentagen und stiller Melancholie. Der Schreibstil ist heiter und mit hintergründigem Humor ausgestattet.
Nebenwirkungen: weckt aufgrund detaillierter Beschreibungen die Lust auf einen Besuch von Paris. Erzeugt ebenfalls die Lust, die vielen auf den letzten Buchseiten abgedruckten Rezepte auszuprobieren. Große Suchtgefahr!
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