Gleise führen in ein Waldstück

Krimi schreiben – aber richtig, Teil 2

Wie bereits im ersten Teil beschrieben, handelt es sich eigentlich um eine interessante Idee für einen Krimi: Ein Mann wird im Zug von einem Unbekannten angesprochen und des Mordes an einer Frau bezichtigt. Ebenfalls, wie in Teil 1 beschrieben, ähnelt der Plot einem alten Hitchcock-Krimi „North by Northwest“. Leider hat der Autor beim Krimi schreiben gravierende Fehler begangen. Hätte man sie vermeiden können? Natürlich.

Nachfolgend eine „Anleitung“, wie man einen Krimi gegen die Wand fährt, wie eine an sich gute Idee für die Handlung in der Mülltonne landet. Hier der Kursus in „Master of Desaster – Krimi schreiben und Leser verjagen“.

Master of Desaster: Gleich auf der ersten Seite viel auf Langeweile setzen, Nebensächlichkeiten aufbauschen

Zuerst schildern Sie ausführlich die Szene am Schweizer Bahnhof, das Einrollen des Zuges, in den die Hauptfigur des Romans einsteigen will. Ziel der Reise ist Paris. Danach gehen Sie darauf ein, dass der Protagonist Plätze in der ersten Klasse gebucht hat und warum er das tat. Legen Sie besonderes Augenmerk auf dessen Armbanduhr, ein altes Erbstück, welches in Paris bei einem Uhrmacher zur Kontrolle abgegeben werden soll. In der Schweiz findet man angeblich keine Uhrmacher, gute Arbeit leistet nur ein ganz bestimmter Uhrmacher in Paris. Natürlich dürfen Sie nicht vergessen zu erwähnen, dass die Uhr trotz ihres Alters genau die gleiche Uhrzeit liefert wie die in der Bahnhofshalle.

Damit hat der Autor 204 nutzlose Worte geschrieben. Gratulation! Die ersten Absätze sind erfolgreich versenkt worden. Krimi schreiben, erstes Eigentor.

Master of Desaster: Viele unwichtige Details präsentieren

Natürlich geben Sie sich damit nicht zufrieden, sondern wollen die Leser weiter mit nutzlosen Informationen langweilen. Krimi schreiben: zweites Eigentor in Planung. Sie erläutern die Gründe dafür, dass der Romanheld einen Platz im Speisewagen gebucht hat und warum es für ihn sinnvoll ist, während der Zugfahrt zu speisen. Ausführlich gehen Sie darauf ein, wie stressig der Tag sein wird und wie wenig Zeit in Paris für ein Essen bleibt. Gut, dass es im Zug einen Speisewagen gibt.

Nebenbei geben Sie Einblicke in das Familienleben der Hauptfigur. Eigentlich wollte er nicht nach Paris fahren, sondern stattdessen seine Schwester in Stockholm besuchen. Selbstverständlich dürfen Sie Lesern nicht vorenthalten, dass der biologische Vater der Hauptfigur schon lange keinen Kontakt mehr mit ihm aufnahm, was die Hauptfigur ein wenig bedauert. Eine Verbindung zwischen Familienleben und Krimihandlung existiert nicht. Leser lieben nutzlose Details in Krimis. Oder?

Der Gedanke, den Lesern den Beruf des Protagonisten näher zu bringen, erfasst Sie. Deshalb erwähnen Sie, dass die Romanfigur ein Schriftsteller ist, dass er von seinem Verleger nach Paris beordert wurde usw. Selbstverständlich ist es notwendig, auf die charakterlichen Eigenarten des Verlegers detailreich einzugehen. Beispielsweise ruft er gerne zur Mittagszeit an, was den Romanhelden sehr ärgert. Kann man als Autor nicht mal in Ruhe essen? Die Welt ist ein Jammertal.

Master of Desaster: den Verlauf der Zugfahrt ausführlich schildern, Krimi schreiben als Einschlafhilfe

Sie haben die vage Idee, dass Leser die Atmosphäre der Zugreise spüren müssen. Die Umsetzung planen Sie deshalb wie folgt: Sie schildern das mitgebrachte Gepäck ausführlich. Ebenfalls gehen Sie darauf ein, dass Ihre Hauptfigur Koffer stets ordentlich behandelt. Wichtig ist ebenfalls, wo genau die Koffer im Zugabteil verstaut werden. Sie schreiben ausführlich, dass Kratzer nicht gut für Koffer sind und wie zufrieden die Hauptfigur darüber ist, dass er einen kleinen Aktenkoffer mit Laptop immer griffbereit hat.

Weiterhin bauen Sie in der Handlung eine ältere Dame ein, die ebenfalls einen Platz im Abteil des Protagonisten gebucht hat. Sie schildern ausführlich das Aussehen der Dame und was Ihre Hauptfigur über die neue Person denkt. Die alte Dame reist mit einem aggressiv aussehenden Hund in einer Stoffreisetasche. Der Hund – eine französische Bulldogge – wiegt ausgewachsen 13 kg. Das habe ich recherchiert, denn die alte Dame führt den Hund nicht an der Leine, sondern trägt ihn in einer Tasche mit sich herum. Nein, ein Welpe kann es nicht sein, denn der Krimiheld hat Angst vor dem gefährlich aussehenden Hund. Wie der Autor auf die Idee kommt, dass alte Frauen schwere Hunde mit sich herumtragen, bleibt zwar ein Rätsel. Aber die ganze Handlung ist ohnehin ein Rätsel.

Siedend heiß fällt Ihnen ein, dass Ihr Protagonist den Unbekannten treffen muss, damit die Handlung endlich ins Rollen kommt. Diese Einsicht kommt zwar spät, aber sie kommt zumindest.

Sie wählen als Treffpunkt den Speisewagen des Zuges aus. Dringend notwendig ist es, dem Leser genau zu schildern, wie die Hauptfigur vom Abteil in den Speisewagen kommt. Überaus wichtig ist es zudem, das Aussehen des Kellners zu schildern und zu erwähnen, dass die Hauptfigur Stammgast im Zug ist. Angeblich existieren in Zügen Passagierlisten, die der Kellner vor der Abfahrt ausführlich studiert hat. Deswegen ist er besonders freundlich und hat selbstverständlich den Lieblingsplatz der Hauptfigur im Speisewagen reserviert.

Etwas Recherche hätte zwar ergeben, dass man im TGV online Plätze im Speisewagen reservieren kann, was die Nebenfigur des Kellners überflüssig machen würde. Aber Recherche wird überbewertet, oder?

Sollen wir mit dem Zählen der Eigentore im Krimi schreiben aufhören? Es werden zu viele.

Master of Desaster: Krimi schreiben mit Klischees

Um zu verdeutlichen, dass der Bösewicht tatsächlich böse ist, lassen Sie ihn in dunkler Kleidung auftauchen. Bösewichte tragen immer dunkle Sachen. Dass ein mieser Typ in einem eleganten Anzug oder in bunter Sommerkleidung auftaucht, ist völlig unmöglich. Außerdem muss er eine dicke Brille mit schwarzem Gestell tragen und die Lippen des Mannes müssen nach unten gezogen sein. Letzteres verrät sofort einen zynischen Charakter. Der Romanheld weiß das, denn er hat mal ein Buch von Sigmund Freud gelesen. Seitdem ist er der absolute Profi für Psychologie.

Nebenbei bemerkt: Hätte er drei Bücher gelesen, könnte er dann eine Praxis eröffnen?

Natürlich müssen Sie dem Leser die Gedanken des Protagonisten schildern, der aufgrund des äußerlichen Erscheinungsbildes des Bösewichts messerscharf begriffen hat, wer sich zu ihm an den Tisch setzte. Weiterhin ist es so, dass der Unbekannte ungepflegte Fingernägel hat, die noch dazu für einen Mann viel zu lang sind. Das sind weitere Details, die eindeutig auf einen bösen Menschen hindeuten.

Ihnen fällt ein, dass Leser auf falsche Fährten gesetzt werden müssen, denn das erhöht die Spannung. Darum lassen Sie den Protagonisten zunächst denken, dass der Unbekannte vielleicht ein aufdringlicher Fan ist, der nur ein Autogramm haben will. (Ihre Hauptfigur ist Romanautor, Sie erinnern sich?)

Da der Fremde zunächst schweigt, versucht sich Ihr Romanheld in allerlei Ablenkungen, schaut aus dem Zugfenster, bewundert die Landschaft usw. Dann erinnert sich der Held daran, dass er anfällig für Migräne ist. Migräneanfälle kommen immer dann, wenn man Fremden gegenübersitzt. Gerade als Ihr Protagonist das Schweigen brechen will, tut es der Bösewicht. Er beschuldigt den Helden, eine Frau ermordet zu haben und fragt nach dem Grund.

Master of Desaster: Showdown – oder was immer das sein soll

Ihre Romanfigur hält den Unbekannten für einen Psychopathen. Was tut man gegen so einen Menschen? Ihr Held hat die ultimative Lösung: Er holt den Laptop aus der mitgeführten Aktentasche und will ihn auf den Tisch stellen. Leider hat der Unbekannte etwas gegen Laptops. Er packt den Arm Ihres Helden hart und schmerzhaft.

Ruft Ihre Romanfigur nun um Hilfe? Macht er die anderen Gäste des Speisewagens auf seine Situation aufmerksam? Nein. Stattdessen schaut er nach dem netten Kellner, der ihm den Sitzplatz gebucht hat. Leider ist der gerade verschwunden und kann nicht helfen.

Spannung pur. Der Griff des Unbekannten schmerzt weiter. Hilfe rufen? Nein. Der Romanheld hat eine viel bessere Idee. Die andere Hand ist noch frei. Er leckt einen Finger ab. Dann reibt er damit über den Rand eines der am Tisch stehenden Gläser, um so einen Ton zu erzeugen. Der Plan ist, dass dieser Ton die Aufmerksamkeit der anderen Gäste weckt. Die würden dadurch die Lage erkennen und dem Helden helfen. Leider ist das Glas sehr unmusikalisch.

Die Spannung steigt unermesslich. Kurz entsteht ein Dialog zwischen Bösewicht und Held. Der Bösewicht fragt den Helden, ob er Angst hat, was dieser bejaht. Schließlich findet Ihr Held etwas Mut. Er droht damit, den Schaffner zu rufen. Auf die Idee, die anderen Gäste des Speisewagens auf seine Lage aufmerksam zu machen, kommt er immer noch nicht. Der Bösewicht lacht über die Drohung.

Große Spannung. Schließlich bittet der Held den Bösewicht, endlich seinen Arm loszulassen. Dann passiert es!

Der Fremde lässt den Arm des Helden los und steht auf.

Was für eine Erleichterung. Der Bösewicht spricht Drohungen aus und verschwindet aus dem Speisewagen. Krimi schreiben ohne Spannung zu erzeugen.

Master of Desaster: die Konsequenzen der Ereignisse

Bevor Sie die Aufmerksamkeit der Leser auf Ihren Helden lenken, schreiben Sie, dass der Bösewicht keine Bestellung aufgegeben hat. Ist das nicht seltsam? Man geht in einen Speisewagen, beschuldigt dort jemanden des Mordes und gibt nicht einmal eine Bestellung auf? Das ist der eigentliche Skandal, oder?

Ihr Held ist am Boden zerstört, denn am Arm zeigen sich blaurote Flecken. Ihr Held findet das tragisch, weil er sich nun einige Zeit nicht ärmellos in der Öffentlichkeit zeigen kann. Und das im Hochsommer! Das mit der Mordanklage ist dagegen Peanuts. Da Ihr Held sich im Speisewagen befindet, muss er trotz der widrigen Umstände natürlich essen. Aufgrund der Ereignisse schmeckt das Essen nicht, was Ihr Held sehr bedauert.

Über die Mordanklage denkt Ihr Held wenig nach. Vielmehr vermutet er, dass der Unbekannte seine Drohungen einfach vergessen wird. Schließlich kann Ihr Held sich nicht daran erinnern, jemals jemanden getötet zu haben. Also ist eigentlich alles in Ordnung.

Um die eventuell jemals vorhandene Spannung, die beim Lesen dieses Krimis vielleicht unerwartet aufgetaucht ist, zu vertreiben, senden Sie Ihren Helden zurück ins Abteil. Dort schläft inzwischen die alte Dame, bewacht von ihrer Bulldogge.

Schlußbemerkungen:

Die gesamte hier ausgewertete Leseprobe umfasste etwa 3.500 Worte. Die Handlung reicht vom Bahnhof bis zum Ende des „Showdown“ im Speisewagen.

Folgende Fehler sind typisch für Anfänger. Nicht nur beim Krimi schreiben, sondern unabhängig vom Genre:

  1. Mangelnde Fokussierung auf das Wesen der Handlung.
  2. Keine Differenzierung zwischen wichtigen und unwichtigen Details. Keine Berücksichtigung, dass Details nur auf einer „Need-to-know-Basis“ genannt werden sollen.
  3. Klischeehafte Bösewichte, die sich sofort an Kleidung und Aussehen erkennen lassen und darum vor allem eines sind: Langweilig.
  4. Keine Planung der Nebenfiguren und deren Beitrag zur Handlung. (Weder die alte Dame mit Hund noch der Kellner, der fleißig Passagierlisten studiert und Reservierungen vornimmt, ergeben Sinn)
  5. Kein Spannungsaufbau, lächerliches Verhalten der Hauptfigur (Gläsertöne erzeugen, statt einfach um Hilfe zu rufen).
  6. Veröffentlichung in einem Zuschussverlag. Das Geld hätte der Autor besser in Schreibkurse investiert.

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